Aktionstag Suchtberatung am 14.11.2024 - Kommunal wertvoll!
»Ich kenne in der Wetterau keine einzige Schule, an der noch niemand Zugang zu Drogen hätte haben können«, sagt Falkenstein. »Wir haben ein grundsätzliches Drogenproblem in Deutschland.« Egal, was man nehme, es sei gesundheitsschädigend. Das Drogen-Problem beginne in der fünften, sechsten Klasse. Die jungen Menschen kämen in Versuchung, wenn Dealer ihre Ware an oder in der Nähe der Schule anbieten, erläutert die Expertin.
Lachgas-Hype und Vorglühen
Junge Menschen würden sehr häufig Cannabis konsumieren, aber auch Amphetamine und Alkohol. »Die wenigsten Supermärkte kontrollieren den Ausweis«, beklagt Falkenstein mit Blick auf den Kauf alkoholischer Getränke. Ein großer Faktor sei der Gruppenzwang: »Wenn man dabei sein will, macht man vieles, was man nicht will, um dazu zu gehören.«
Und das »Vorglühen« habe zugenommen. Einen gewissen Pegel erreichen, bei der eigentlichen Party Geld sparen und von Anfang »gut drauf« sein, darum geht es. Früher habe sich das Vorglühen auf Alkohol beschränkt, mittlerweile kämen etwa Pillen und LSD zum Einsatz, sagt Falkenstein. Ein derzeit heißes Thema sei Lachgas. »Das können Sie am Kiosk bekommen.« Wer es konsumiere, für den wirke alles lustig und locker - beim nachfolgenden Kater höre der Spaß dann aber auf.
Vom Cannabis-Gesetz hält sie nichts
Aktuell ist auch das Thema Cannabis, dessen Besitz und Konsum seit wenigen Monaten in einem gewissen Rahmen legal ist. Falkenstein hält davon gar nichts. »Die Aufklärung, die vom Bund gekommen ist, war mies«, kritisiert die Expertin. »Jetzt bei der Cannabis-Legalisierung merken wir, dass viele Jugendliche denken, ›Wenn es legal ist, kann es nicht so schlimm sein‹.« Kiffen sei aber sehr wohl schlimm, auch wenn man es heutzutage nicht mehr als Einstiegsdroge sehen sollte, wie die Suchtberaterin sagt, da man andere Drogen mittlerweile auch ohne die Vorstufe Cannabis sehr leicht bekommen könne.
Falkenstein geht es um den Schaden, den das »Gras« selbst anrichten könne. Das gelte besonders für 18- bis 25-Jährige, da bei ihnen die neurochemische Entwicklung des Gehirns noch nicht abgeschlossen sei. »In dem Alter handeln Sie sich irreversible Psychosen ein.« Auch ein schleichender Prozess sei möglich, in dem man irgendwann in eine Depression hineinrutsche oder Psychosen entwickle.
Exzessive Handy-Nutzung
Allen Gefahren zum Trotz gebe es immer mehr Jugendliche, die Drogen konsumieren oder süchtig nach Medienkonsum seien, sagt Falkenstein. Medien seien einfach verfügbar. Damit meint die Expertin die exzessive Handynutzung, hinter der sich eine ganze Palette an Süchten verbergen könne: Pornos schauen, in rauen Mengen online einkaufen, mit Geld-Einsatz pokern oder von anderen Onlinespielen nicht mehr wegkommen.\
Die exzessive Handynutzung ist ein spezielles Thema, denn erstens seien nicht alle Eltern in diesem Punkt gute Vorbilder und zweitens setzten Schulen vermehrt auf digitale Komponenten, gibt Falkenstein zu bedenken. Den Handy-Konsum des eigenen Kindes zu kontrollieren, sei ein zweischneidiges Schwert. Tracking-Apps, mit denen man den Konsum der Kinder überprüfen kann, seien in jungen Jahren in einem gewissen Rahmen okay, später aber nicht mehr, da sie zu einem schlechten Verhältnis zwischen Eltern und Kind führten - Stichwort Überwachung.
Sucht hat viele Gesichter. Alle gesellschaftlichen Schichten seien betroffen, sagt Falkenstein. Drogenkonsum könne über die unmittelbare Schädigung des Körpers noch andere Folgen haben, Stichwort Beschaffungskriminalität. Junge Menschen, die klauen oder ihren Körper verkaufen. Es gebe Eltern, die zum Beispiel fragen würden, ob sie ihre süchtigen Kinder rausschmeißen können. »Da merkt man, wie verzweifelt man sein muss. Sucht zerstört Familien.«
Beratung in Zahlen
Das Zentrum für Jugendberatung und Suchthilfe für den Wetteraukreis, dessen Träger der Verein Jugendberatung und Jugendhilfe ist, hat im vergangenen Jahr insgesamt 831 von Sucht betroffene Menschen betreut. Dies geht aus dem Jahresbericht für 2023 hervor. 134 von ihnen waren Einmalkontakte. Bei diesen gehe es in vielen Fällen um eine erste Information zu Möglichkeiten und weiterführenden Hilfen. »Nicht alle Einmalkontakte münden dann in einer längerfristigen Beratung«, heißt es in dem Bericht. Die Auswertung ohne Einmalkontakte zeige einen deutlich höheren Anteil bei männlichen (570) gegenüber weiblichen Personen (261). Insgesamt wurden im vergangenen Jahr 7882 Beratungsleistungen erbracht. Lässt man die Einmalkontakte weg, dann war in der Beratungsstelle in Friedberg inklusive der Beratungen im BBW in Karben der Cannabis-Konsum mit 217 Personen der bedeutendste Beratungsgrund, gefolgt von Alkoholsucht (150) und von Kokain, Crack und Heroin (insgesamt 79). In der Außenstelle in Büdingen wurden inklusive des Standorts Nidda insgesamt 264 Personen erreicht, darunter waren 82 Einmalkontakte. Im Osten der Wetterau steht bei den Süchten der Alkohol an erster Stelle (87 Personen, die sich an die Beratungsstelle wandten), gefolgt von Opiaten/Methadon. In diesem Bereich hat sich die Zahl der Hilfesuchenden gegenüber 2022 mehr als verdoppelt - auf 57.
Für Süchtige und Angehörige
Das in Friedberg ansässige Zentrum für Jugendberatung und Suchthilfe für den Wetteraukreis beackert, wie der Name schon sagt, unter anderem das Thema Sucht. Die Prävention beginne schon in den Kitas, sagt Leiterin Beatrix Falkenstein, schließlich bekämen Kleinkinder schon mit, wenn in ihrem Umfeld jemand süchtig sei. In Schulen ist das Zentrum ebenfalls aktiv, bezieht auch die Eltern und Lehrer, in den Kitas die Erzieherinnen und Erzieher mit ein. Auch jenseits solcher Veranstaltungen steht die Friedberger Einrichtung allen Menschen mit Suchtproblematik, die in der Wetterau wohnen, zur Seite. Auch Angehörige von süchtigen Menschen können sich an das Zentrum wenden. »Wir sind an die Schweigepflicht gebunden, daher sind unsere Angebote anonym und vertraulich«, heißt es auf der Website https://zjswk.jj-ev.de/
Unter der Telefonnummer 0 60 31/7 21 00 oder per Mail an zjswk@jj-ev.de kann man Kontakt zu dem Zentrum aufnehmen. Oder man kommt einfach in der Bismarckstraße 2 in Friedberg vorbei - montags bis donnerstags von 9 bis 12.30 Uhr und von 13 bis 17 Uhr und freitags von 9 bis 12.30 Uhr und von 13 bis 16 Uhr.